Als ich für meinen Brennnesselkurs in Freckenhorst war, habe ich das mit einem Besuch bei der Uni Münster verbunden. Ich schreibe gerade "Das Löwenzahnbuch" und bin bei meinen Recherchen auf die Forschungen zu Löwenzahn für Reifen und andere Produkte gekommen. Der Biotechnologe Dr. Dirk Prüfer hat mich auf meine Anfrage hin eingeladen, mir das alles mal anzusehen, wie schön!
Münster kenne ich gut aus meiner Zeit, als Jugendliche in der Fachoberschule für Gestaltung. Ich brauchte eine Weile zu kapieren, dass der Hindenburgplatz, wo es immer schöne Flohmärkte gab, in Schlossplatz umbenannt wurde. Die Park-Häuschen, mit Menschen drin, die einem den Parkschein mit einem lieben Guten-Morgen-Gruß per Hand hinausreichen, gibt es noch. Das freute mich sehr.
Die Westfälische Wilhelms-Universität ist im Schloss untergebracht. Herrn Prüfer hab ich gleich gefunden. Die Wissenschaftler der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) und des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie haben mittlerweile beeindruckende Ergebnisse mit ihren Forschungen erreicht. Ganz sichtbar wird es mit dem Fahrrad, mit Reifen aus Löwenzahnkautschuk. Es gibt wohl auch keinen besseren Ort als Münster, um für Reifen für Fahrräder zu forschen, Münster gilt als Fahrradstadt und auf der Promenade, auch vor der Universität, radelt es sich sehr gut.
Schön, dass die Marketing-Experten den Löwenzahn als Profilmuster auf dem Reifen abbilden ließen. Besonders freut es Herrn Prüfer, dass sich auch die Zellstruktur dort wiederfindet. Das erkennt vermutlich nur ein Biologe. Herr Prüfer hat mir viel über die Anfänge und seine Recherchen erzählt. Die ersten Misserfolge, weil mit einer falschen Art geforscht wurde. Falsches Saatgut wurde in den botanischen Gärten Europas und der ganzen Welt gelagert. Drei Jahre wurde europaweit erfolglos an dieser Pflanze für die Kautschukgewinnung geforscht, bis der Irrtum durch DNA-Sequenzierungen zu Tage kam.
Dann ging es in die kasachische Einöde in Russland. Auf einer Wiese im Tian Shan Gebirge gab es noch die begehrte Pflanze. Die Wurzeln werden von den Menschen dort als eine Art Kaugummi geschätzt. Nun konnte es richtig los gehen. Die Erfolge blieben nicht aus. Zuerst noch als Beispiel für Steuerverschwendung vom Bund für Steuerzahler vorgeschlagen, wurde es 2021 für den Deutschen Zukunftspreis nominiert. Gewonnen hatte damals allerdings BionTech mit seinem mRNA-Impfstoff. Ich hätte auf jeden Fall das Löwenzahnprojekt gewählt.
Auch über die Zeit im zweiten Weltkrieg, als die Russen schon mit Löwenzahnkautschuk für die Reifenherstellung experimentiert hatten, erzählte Herr Prüfer. Dass das damalige Naziregime dieses Wissen durch Entführung der Forscher zu sich geholt hatte, ist ein wahrer Krimi. Dann mussten sogar auch Kinder im Konzentrationslager Ausschwitz beim Anbau der Pflanze arbeiten. Aus dieser Geschichte heraus und wohl auch wegen der aktuellen politischen Situation, gab es Journalisten, die vorschlugen, den Russischen Löwenzahn umzubenennen, oder sogar, wie in einer eigentlich als seriös geltenden großen Zeitung der Löwenzahn als Nazipflanze dargestellt wurde. "Da kann die Pflanze doch nichts dafür!" meinte Herr Prüfer dazu. Ich merkte immer wieder, wie sehr er die Pflanze einfach mag. Es ging schon ins Philosopische, als wir uns einig waren, dass es gar keine andere Wahl gibt, als hoffnungsvoll und kreativ immer wieder Neues zu wagen und zu entwickeln.
Dann ging es in die Labore. Das Lasermikroskop, das dreidimensionale Bilder darstellen kann, ein Wunderwerk der Technik und mehrere Labore. Ein Team von 15 Leuten arbeitet in der Forschungsgruppe. Ich hatte den Eindruck, die Menschen dort, sind wirkliche gerne da. An den Wänden in den Fluren kunstvolle mikroskopische Aufnahmen von Zellen und Pflanzenteilen.
Weiter ging es in die Gewächshäuser. Zunächst die Regale voller Weck-Gläser. Darin Löwenzahnkulturen. Sogar aus einzelnen Zellen, können dort Pflanzen entstehen. Also ich habe schon Schwierigkeiten aus Samen eine Pflanze zu ziehen. Herr Prüfer meinte, sie hätten da so ihre Tricks. Die Weck-Gläser eignen sich hervorragend wegen dem besonderen Deckelschliff, der Bakterien und Mikroben nicht durchlässt.
Dann weiter zu den größeren Pflanzen. Der russische Löwenzahn ist viel kleiner als unsere Art hier. Er muss in Kasachstan, nicht weit vom Himalaya, große Temperaturunterschiede meistern. Um einen größeren Ertrag zu züchten, wurde er mit unserem heimischen Wiesenlöwenzahn (Taraxacum sect. Ruderalia) zusammengebracht. Geziehlte Züchtungen waren anhand der DNA-Analysen möglich. Der Kautschukanteil von fünf Prozent konnte auf bis zu 15 Prozent gesteigert werden, auch die Wurzeln wurden größer und ergiebiger, sodass Anbau und Ernte wirtschaftlich geworden sind.
Zurück im Besprechungsraum habe ich weitere Literaturtipps und einen Tipp für eine Dokumentation bekommen. Schmutzige Reifen vom WDR auch auf Youtube veröffentlicht. Hauptlieferant ist Thailand und Kambodscha. Interviews mit Reifenherstellern Fehlanzeige, Fabriken und Plantagen der großen Reifenhersteller und Zulieferer, durfte der Dokumentarfilmer nicht besuchen. Mit versteckter Kamera wird trotzdem gefilmt, werden Menschen befragt. Herbizide, die bei uns verboten sind, werden dort ohne genügenden Schutz ausgesprüht. Besonders schlimm: Menschen in Kambodscha wird ihr Land genommen, sie werden sogar erschossen, wenn sie sich wehren. Ihr seit Generationen weitervererbtes Land, wird ihnen genommen, ihre Lebensgrundlage. Das Land ist zerstört, statt Lebensmittel gibt es erst gerodete öde Flächen und dann Kautschukplantagen. Ganze Dörfer wurden mit Bulldozern platt gemacht und die Menschen vertrieben. Auf ihren Friedhöfen wachsen Kautschukbäume, die Gier nach Kautschuk hat viel Leid gebracht. Der Film zeigt aber auch einen Ausweg, der eingentlich ziemlich einfach ist. Reifenrunderneuerung. Die Technik dafür ist so ausgefeilt, dass sie neuen Reifen nicht nachstehen und 70 bis 80 Prozent weniger Kautschuk benötigen. Und natürlich muss man die Reifenanbieter dazu drängen, wirklich fair zu produzieren.
Zum Schluss ging es noch zur Kautschuktrommel. In einer Art Toplader-Waschmaschine, wird mithilfe von Kugeln der Kautschuk aus den Wurzeln gelöst. Ein paar Wurzeln durfe ich mitnehmen. Ganz glücklich mit meinen Notizen und den Fotos, die ich machen durfte, bin ich dann noch ein bisschen in die Innenstadt gegangen, habe Pumpernickel und Schweinsöhrchen gekauft. Nein, die Schweinsöhrchen sind nicht vom Schwein, das ist ein Gebäck, dass mich auch an das Münsterland erinnert.
Zuhause habe ich dann noch die Wurzeln gekaut, ich dachte, es würde vielleicht gummiartig, es wurde allerdings eher faserig, schmeckt aber ganz gut und ist sicher gut für die Zähne.
Danke an Dr. Dirk Prüfer, dass er sich die Zeit genommen hat und mir so viel Informationen geben konnte und sie mir als Nichtbiologin so anschaulich erklären konnte.